Windelfrei oder doch nicht? Abhaltestreik und ein möglicher Umgang damit

Einige haben meinen Beitrag zum Thema Windelfrei bestimmt gelesen und nun möchte ich einen Aspekt nochmal vertiefen. Außerdem freue ich mich sehr, dass ich einen Gastbeitrag veröffentlichen darf.

 

Ich hatte in meinem letzten Beitrag über Windelfrei nur kurz angeschnitten, dass es auch Momente gibt in denen mein Sohn nicht abgehalten werden will. Das möchte ich in diesem Beitrag vertiefen. Es geht mir um den Abhalte Streik, was dahinter stecken kann und wie ich damit umgehe. Da wir gerade mitten drin stecken kann ich ganz gut davon erzählen momentan ;)

 

Mein Sohn lässt sich momentan nur unterwegs abhalten… nur klingt doof, soll aber nicht negativ klingen. Sobald wir Zuhause sind, signalisiert er zwar, weigert sich aber abgehalten Pipi oder Kacki zu machen. Setze ich ihn ab dauert es meist nicht lang und er sucht sich einen Platz und hockt sich da hin. Seit ein paar Tagen hat er sich 2 Ecken speziell ausgesucht, in die er läuft, wenn er muss. Also haben wir 2 Töpfchen gekauft und sie in diese Ecken gestellt. Das klappt manchmal aber nicht immer, denn er kommt noch nicht alleine drauf. Aber immerhin spielt er manchmal mit dem Töpfchen wenn er muss und dann können wir ihn darauf setzen. Dann freu ich mich immer riesig J ABER es gibt auch viele Momente wo er einfach nicht will – auch keine Windel… das hat mich am Anfang sehr gestresst. Ich habe andere Windelfrei Mamas gefragt was ich machen kann… die Antwort: Lächeln und wischen … nicht unbedingt was man hören möchte, aber es ist so. Inzwischen habe ich mich damit abgefunden und dadurch wird es leichter.

 

Ich habe das Gefühl, dass es 2 unterschiedliche Gründe bei unserem Zwerg gibt, warum es manchmal nicht klappt:

 

1.    Er möchte selbst bestimmen wo er Pipi oder Kacki hin macht

 

Das muss man aushalten können. Meine Geduld ist schon manchmal sehr auf die Probe gestellt, wenn er 4 Mal hintereinander irgendwo seine Haufen hinterlässt und sich freut wenn ich es merke. Pipi stört mich recht wenig ^^ inzwischen habe ich überall in der Wohnung Handtücher liegen und wische einfach.

 

 

 

2.    Manchmal glaube ich, dass er einfach seine Ruhe haben will und da er allein nicht auf den Topf kommt, setzt er sich daneben. Dann hab ich auch das Gefühl, dass er nicht signalisiert. Er freut sich dann hinterher wahnsinnig, wenn er zu mir kommt und mir signalisiert, dass er gerade sehr erleichtert ist^^

 

 

 

Ja es ist schwer manchmal, aber ich kann nur sagen: nicht aufgeben, denn es wird besser!!! Aber ich bin überzeugt, dass es nur besser wird, wenn wir sie diese Erfahrung machen lassen, wenn wir nicht schimpfen, weil sie selbst entschieden haben, auch wenn das bedeutet, sich selbst in Geduld zu üben. Mir hilft es, wenn ich mich an den kleinen Erfolgen erfreue, auch wenn das bedeutet, dass ich mich über das 1 Kacki von 6 am Tag im Topf freue^^

 

Und nun viel Spaß mit:

 

Janina  sie ist Bloggerin und bietet auf ihrer Internetseite „Leonina – frei geborgen“ Infos, Materialien und Kurse rund um ein bedürfnisorientiertes Leben in der Familie an.

 

 

 

Abhaltestreik oder Entwicklungsmeilenstein?

 

Was bedeuten Töpfchen-Pausen in der Selbstbestimmungsphase und wie kann ich entspannt mit ihnen umgehen?

 

 

 

Gerade gestern ist es passiert. Ganz deutlich habe ich es dieses Mal gesehen. Wir waren gerade dabei, Ringe auf einen Stab zu stecken – ganz neu, dass sie sie drauf setzt anstatt sie einfach nur abzuziehen, während ich einen nach dem anderen wieder raufstecke; genial, schon wieder eine neue Fähigkeit! Gerade war ich noch im Staunen, da beobachtete ich, was verbal ausgedrückt wohl so geklungen hätte: „ich kann das alleine!“ und „ich möchte dafür woanders hin, möchte damit allein sein“ und „ich entscheide jetzt, dass ich es tu und wo und wie ich es tu!“.

 

Abhaltestreik, hast du davon schon gehört?

 

Klingt irgendwie nach willentlichem Boykott, vielleicht sogar nach boshafter Verweigerung. Und es passiert so leicht, dass es einem genau so vorkommt, wenn das windelfreie Kind, vielleicht nachdem es bereits länger mit meiner Hilfe trocken ist, das Töpfchen meidet wie die Katz‘ das Wasser. Es ist nichts zu machen, beim Abhalten in der Hocke beugt sie sich durch, vom Töpfchen springt sie herunter wie von heißen Kohlen, nur um Sekunden später auf den Boden zu pinkeln. Und dann scheint es sie nicht einmal zu stören!

 

Ich gebe zu, auch ich habe mich mehrmals gefragt, was ich falsch gemacht habe. Ob sie doch nicht wirklich windelfrei ist, ob sie einfach keine Lust drauf hat und ich ihr ständig ein Backup umschnallen muss und ob demnächst gar nichts mehr ins Töpfchen geht. Und ganz schlimm waren die Fragen der Bekannten, wenn sie sahen, wie ein Pipi nach dem anderen in die Windel oder auf den Boden ging: Na, klappt windelfrei doch nicht? Und ich fragte mich: Hat mein Kind alles verlernt? Und wie lange kann das jetzt noch dauern?

 

Kein Fehler im System, sondern Teil des Prozesses

 

Um zu verstehen, was da passiert, schnell die Fachbücher ausgepackt und nachgeschlagen. Ich erinnere mich an einen Satz, den ich in einem Auszug aus dem Buch „go diaper free“ von der amerikanischen Windelfrei-Bloggerin Andera Olsen gelesen habe. Sie plädiert dafür, diese als solche wahrgenommenen Phasen voller Pfützen und bekackerten Windeln und Böden nicht als Scheitern der Ausscheidungskommunikation mit deinem Baby zu sehen, sondern sie als Teil des Prozesses, als normale Komponente wahrzunehmen. Sie sagt:

 

„Some also believe that baby is testing her own limits, and that ´potty pauses´ are just part of learning process. They are not necessarily a failure in EC, per se, but a sign that your baby is [healthily] becoming aware of her ability to hold it, let it go where she wishes, and decide whether or not to go at all… independence, ability, and decision-making in action!“ (S. 294)

 

Es ist also einfach ein weiterer, aber ganz besonderer Baustein in der Entwicklung deines Babys – neben eben auch der Fähigkeit ein Türmchen mit Ringen zu bestücken, anstatt sie nur abzuziehen. Letzteres ist natürlich nichts als eine kleine Freude für die beglückte Mutter, während eine Töpfchenpause die Nerven so mancher Eltern auf die Probe stellt.

 

Es fühlt sich manchmal an wie ein abgekartetes Spiel…

 

… wenn das Kind sich weigert aufs Töpfchen zu gehen, um kurz darauf auf den Boden zu machen. Kommt dir das bekannt vor? Genau, es ist die Zeit der neugewonnenen Autonomie. Das Kind schaut wieder einmal hinter den Horizont und wird mit einer Oase und Pracht neuer Fähigkeiten konfrontiert, die neue Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen bieten. Plötzlich kann ich entscheiden, und weiß, dass ich es kann. Ich kann meine eigene Meinung haben und diese zeigen und sie darf der von Mama und Papa entgegenstehen. Aus Erwachsenensicht ein Trotzverhalten, wenn gegen alle für uns vernünftigen Argumente willentlich verstoßend wird, nur um die eigene fixe Idee durchzusetzen. Aber ist das so?

 

Das Buch „Oje ich wachse!“  (Dr. Hetty van de Rijt – Dr. Frans X. Plooij) dokumentiert all jene Entwicklungsschritte unserer Kinder, die für sie die Welt auf den Kopf stellen. Was ab etwa dem 8. Monat passiert sind zwei wichtige Bausteine für die Entwicklung der Selbstbestimmung des Kindes:

 

1.       Zunächst lernt das Baby die Welt der Zusammenhänge kennen. Reihenfolgen werden ersichtlich und das Baby weiß nun, Dinge aufzubauen und einander zuzuordnen. Hieraus erwächst weiterhin folgende Möglichkeit:

 

 

 

„Jetzt, wo das Baby `Reihenfolgen` wahrnehmen und schaffen kann, hat es auch die Wahl, das Gegenteil zu tun, also eine Sache zu vermeiden“ (S. 239)

 

 

 

2.       Ab etwa dem 12. Bis 13. Lebensmonat folgt der nächste Sprung, der zum Erkennen und planen mit Programmen führt. Nun weiß  das Baby um Handlungsabläufe und lernt diese zu unterstützen, flexibel zu verändern oder sie zu abzulehnen und zu verhindern. Es versteht, wenn Mama Wäsche wäscht, lernt, beim Fegen mitzuhelfen oder füttert die eigene Puppe und wenn es erkennt, dass Schlafenszeit ist, kann es versuchen, dem Ritual aus dem Weg zu gehen.

 

 

 

„Ihr Baby ´spielt´ mit den verschiedenen Wahlmöglichkeiten, die es an jedem Knotenpunkt hat. Es probiert aus. Es muss noch lernen, welche Folgen seine jeweilige Entscheidung an einem Knotenpunkt hat“ (S. 271)

 

Halten wir uns diese Fähigkeiten einmal vor Augen und wechseln wir das Wort „Trotz“ gegen „Autononmie“ und „Selbstbestimmung“, finden wir ein Kind, das sich nun selbst verorten lernt. Das seine Identität von der der Eltern trennt, das die Welt um sich herum und sich selbst noch ein wenig mehr zu analysieren gelernt hat, um ein eigenständig denkendes und handelndes Wesen zu werden. Auch Entscheidungen müssen geübt werden. Konsequenzen ausgetestet. Sonst bleiben sie nur leere Hülsen, die ein Kind nicht versteht.

 

Was bedeutet das für windelfrei?

 

Ein windelfreies Kind hat von Anfang an die Wahrnehmung von Blase beibehalten und die Kontrolle der Schließmuskeln  trainiert, wodurch sich die Blase in ihrer Größe anpassen konnte. Nun ist es also möglich, sowohl willentlich auszuscheiden und loszulassen als auch einzuhalten. Die gewonnenen Fähigkeiten, Zusammenhänge kognitiv zu erfassen und Programme aktiv zu planen, zu vermeiden oder zu verändern ergänzen diese physischen Fähigkeiten und führen dazu, dass das Kind mit diesen neugewonnenen Möglichkeiten spielt, sie testet und trainiert.

 

Auch das Windeln Wechseln wird da zu einer Geduldsprobe für beide Seiten. Dem kann ein Kind sich nicht entziehen, man kann das Wickeln aber so gestalten, dass es weniger unangenehm ist und den Interessen des Kindes entgegenkommt, wie beim „friedlichen Wickeln“ (Link folgt). Gleiches gilt für das Abhalten, darum hier ein paar Praxistipps für dich:

 

Und was also tun, wenn gar nichts mehr geht?

 

1.       Geht denn wirklich GAR nichts mehr?

 

 

 

Oder ist das nur unser Eindruck? Oft klappt es noch gut in den Stansardsituationen  wie direkt nach dem Aufwachen z.B.. Oder klappt windelfrei vielleicht nachts oder aber für das große Geschäft? Du kannst diese Situationen als Anker für dich und dein Kind beibehalten. Lass keinen Platz für Pessimismus sondern freu dich lieber über jedes aufgefangene Pipi!

 

 

 

2.       Bleib‘ dran und finde Kompromisse!

 

 

 

Auch wenn es meistens daneben geht, behalte bei, was immer noch klappt und bieten auch zwischendurch das Töpfchen an. Viele Pfützen und nassen Hosen stressen und demotivieren dich? Dann überleg‘ dir, welches Backup du nutzen möchtest. Oder du kommunizierst mit deinem Baby, dass du ihm teilweise eine Windel umbindest – allerdings sollte das nicht zum Abbruch der Kommunikation führen und deinem Kind nicht signalisieren, dass es nun einen Rückschritt macht und du das gemeinsame Projekt „aufgibst“.

 

 

 

3.       Kommuniziere weiter!

 

 

 

Kein Abhalten sollte nicht gleichbedeutend sein mit einem Abreißen der Kommunikation. Wenn dein Baby sich für Pipi auf dem Boden entschieden hat, dann fasse es in Worte und sag‘ ihm/ihr, wohin das Pipi eigentlich gehört. Wisch mit ihm auf, zeig ihm, wo das Pipi gelandet ist und sagt dem Pipi gemeinsam tschüß, wenn es doch im Klo oder Töpfchen gelandet ist.

 

 

 

4.       Sei kreativ!

 

 

 

Töpfchen ist out? Nun, vielleicht sucht dein Baby sich einen anderen Ort. Vielleicht bietest du ihm eine neue Position oder einen neuen Ort an. Vielleicht möchte dein Baby selbst mit dem Topf zu dir kommen. Vielleicht möchte es den Spielort aber auch gar nicht verlassen oder ein Spielzeug mit auf’s Klo nehmen. Hier ist deine Kreativität und Flexibilität gefragt!

 

 

 

5.       Lass dich nicht stressen und hab Geduld!

 

 

 

Dein Baby hat nach wie vor Kontrolle über seine Schließmuskeln. Wenn es anhält und erst pinkelt, wenn du ihm nicht mehr mit dem Topf hinterherrennst, ist die Kontrolle sogar schon sehr stabil, freu dich, alles richtig gemacht! Jetzt musst du dich nur noch in Geduld üben. Manchmal dauert es ein paar Tage, manchmal ein paar Wochen oder Monate. Irgendwann findet aber wieder Veränderung statt! Und dann lacht ihr gemeinsam über eure lustigsten Pannen und Pfützen.

 

Bahn frei für dein kompetentes Baby!

 

Was gestern passiert ist, ist eigentlich nichts Neues. Nur mein Blick darauf. Während unseres gemeinsamen Spiels schaute ich ihr in die Augen und ich sah auf einmal eine tiefe Entschlossenheit. Sie nahm einen Stift auf und warf ihn sogleich zurück auf den Boden, nahm ihn auf und warf ihn entschlossen wieder weg und drehte sich um. In dem Moment war mir klar, ihre Blase drückt. Sie krabbelte vom Teppich, ich hinterher. Ich versuchte sie aufs Töpfchen zu setzen, sie hüpfte sogleich runter. Ich legte ihr ein Mulltuch zwischen die Beine, sie krabbelte weiter. Während ich einerseits resignierend, aber andererseits voller Bewunderung auf dem Boden sitzen blieb und meine willensstarke Tochter beobachtete, zog sie sich zielstrebig am Regal hoch, schaute kurz glücklich in meine Richtung und pinkelte im hohe Strahl auf den Boden.

 

Und ich freue mich, denn mir ist jetzt klar, mein Kind hat nichts verlernt. Sie ist auch nicht nachlässig und überfordert. Ganz im Gegenteil. Sie ist auf dem Weg, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und ein windelfreies Kind unabhängig von mir und meiner Hilfe zu werden. Nun werden wir einen gemeinsamen Weg in ihre Selbstständigkeit finden. Bahn frei für mein kompetentes Baby!

 

Natürlich gibt es auch andere Situationen, die das Baby dazu veranlassen, das Abhalten zu meiden oder zu verweigern, z.B. wenn das Baby zahnt oder wenn sich etwas in Baby’s Leben verändert. Wie seid ihr damit umgegangen und wie lange haben die Abhaltepausen bei euren Babys angedauert? Schreibt es uns in die Kommentare!

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Anja (Samstag, 28 Oktober 2017 19:13)

    Hallo,

    was für ein schöner und wirklich Mut machender Artikel - "Lächeln und wischen". Das ist gut...

    Unsere Tochter ist jetzt 7 Monate alt. Seit sie ca. 3 Monate alt ist, halten wir sie ab - Standardsituationen wie nach dem Aufwachen, aber auch nach Gefühl. Es hat immer ganz gut geklappt. Seit einiger Zeit streikt sie ordentlich. Ich weiss, sie muss Pipi - aber sie wehrt sich heftig und macht erst Pipi, sobald ich sie abgelegt hab...

    Schön zu lesen, dass das einfach zum Selbstständig-werden dazugehört... :-)

    Viele Grüße
    Anja